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Den Körper achtsam wahrnehmen: Wie Körperbewusstsein dein Wohlbefinden im Leben und im Beruf stärkt

  • Writer: Eva Peters
    Eva Peters
  • Oct 20
  • 6 min read
Körperbewusstsein verbessert Wohlbefinden im Leben und bei der Arbeit
Körperbewusstsein verbessert Wohlbefinden im Leben und bei der Arbeit

Wenn wir an „Achtsamkeit“ denken, stellen sich viele von uns vor, durch meditative Übungen den Geist zu beruhigen oder unsere Gedanken zu beobachten. Allerdings gibt es eine weitere, oft übersehene und gleichzeitig extrem relevante Dimension der Achtsamkeit: das Bewusstsein für den Körper. Im Universitätskurs The Science and Practice of Mindfulness at Work widmen wir diesem Thema eine ganze Sitzung. Wir lehren Interozeption – die Fähigkeit, innere Körpersignale wahrzunehmen und zu interpretieren – und wie diese bewusste Körperwahrnehmung unser mentales und körperliches Wohlbefinden im Alltag und im Beruf tiefgreifend verbessern kann. Aufgrund der Wichtigkeit dieser Fähigkeit erstrecken sich die Übungen zur Entwicklung von Köperbewusstseins sich über das ganze Semester.


Was ist Interozeption?

Interozeption bezeichnet die Wahrnehmung innerer Körpersignale wie Herzschlag, Atmung, Hunger, Schmerz oder Müdigkeit. Wissenschaftlich betrachtet beschreibt sie unsere Fähigkeit, die aus dem Körperinneren aufsteigenden Empfindungen wahrzunehmen und zu deuten (Mehling et al., 2012). Diese innere Wahrnehmung wirkt wie ein innerer Kompass, der beeinflusst, wie wir fühlen, reagieren und Entscheidungen treffen.

Entscheidend ist dabei: Es geht nicht nur darum, Empfindungen zu bemerken, sondern sie richtig zu interpretieren. Wenn wir z. B. Enge in der Brust spüren – nehmen wir sie automatisch als Gefahr wahr, oder können wir innehalten, nachspüren und erkennen, ob es sich um Stress, Müdigkeit oder etwas anderes handelt? Achtsamkeit hilft uns, diese inneren Signale klarer wahrzunehmen – und ihnen mit Neugier und Fürsorge, statt mit Angst oder Vermeidung zu begegnen.


Wie wir Interozeption im Unterricht vermitteln

In unserem Kurs The Science and Practice of Mindfulness at Work lernen die Studierenden zunächst die wissenschaftlichen Grundlagen der Interozeption kennen. Sie lesen Forschungsarbeiten zu Interozeptionstraining und -messung, um zu verstehen, wie stark die Fähigkeit, Körpersignale zu spüren, Gesundheit und Leistungsfähigkeit beeinflussen kann.Wir vermitteln, dass Körperwahrnehmung die Basis für Emotionsregulation, Entscheidungsfindung und Stressresilienz ist. Danach liegt der Fokus auf der Praxis. Drei zentrale Achtsamkeitsübungen fördern Körperbewusstsein:


1. Body Scan Meditation

Der Body Scan ist eine Grundübung der interozeptiven Achtsamkeit. Dabei wandert die Aufmerksamkeit langsam durch verschiedene Körperbereiche – Füße, Beine, Bauch, Brust, Schultern, Gesicht – und beobachtet Empfindungen mit Neugier, ohne zu bewerten. Der Body Scan ist eine kraftvolle Methode, um Präsenz, Erdung und Nicht-Reaktivität zu üben – allein durch das bewusste Wahrnehmen dessen, was im Inneren geschieht.


2. Achtsames Gehen

Eine weitere Übung zur Entwicklung von Köperbewusstsein ist die Gehmeditation. Diese bringt Bewusstheit in Bewegung. Studierende achten auf das Gefühl der Füße am Boden, die Bewegung der Beine, die Gewichtsverlagerung und den Atemrhythmus beim Gehen. Diese Praxis ist besonders hilfreich für Menschen, denen Stille schwerfällt – sie verwandelt eine Alltagsaktivität – das Gehen -  in eine Gelegenheit für verkörperte Achtsamkeit und Regulierung des Nervensystems. Viele Studierende berichten, dass sie sich nach nur wenigen Minuten achtsamen Gehens klarer, fokussierter und ruhiger fühlen.


3. Achtsame Bewegung und Dehnung

Sanfte Bewegungen – etwa achtsames Dehnen, yoga-inspirierte Haltungen und Bewegungsabläufe oder Schulter- und Nackenrollen – fördern das Bewusstsein dafür, wie sich der Körper bewegt, wo Verspannungen sitzen und welche Bereiche des Körpers Aufmerksamkeit brauchen.

Diese Praxis unterstützt die Selbstregulation durch Bewegung, hilft, Stress aus dem Körper zu lösen und eine offenere, entspanntere Haltung während des Arbeitstags einzunehmen.


Durch die Verbindung von Atem und Bewegung wird achtsame Bewegung zu einem dynamischen Werkzeug für die Förderung von Körperbewusstsein und Energiebalance.

Viele Studierende empfinden diese Übungen als überraschend wirkungsvoll – sie erkennen, wie oft sie aufmerksamkeitstechnisch vom eigenen Körper abgeschnitten sind, und wie erdend es ist, diese Verbindung wiederherzustellen.


Warum Interozeption für Wohlbefinden wichtig ist

Interozeption ist eng mit unserer Fähigkeit zu fühlen, und zu regulieren und zwischenmenschliche Beziehungen zu pflegen verbunden. Forschung zeigt, dass sie das Wohlbefinden auf mindestens drei zentrale Weisen stärkt:


1. Emotionsregulation

Emotionen sind körperliche Signale – ein schneller Herzschlag, flache Atmung, Muskelspannung. Wer diese Signale bemerkt und die köperlichen Empfindungen dieser Emotionen aushalten kann, ohne impulsiv zu reagieren, stärkt seine emotionale Regulation (Pinna & Edwards, 2020). Dies ist besonders im Zusammenhang der Regulation negativer Emotionen wertvoll, da diese häufig mit unangenehmen körperlichen Empfindungen einhergehen. Auf diese Weise verbessert eine gestärkte Interozeption Resilienz, Geduld und den Umgang mit Stress.

 

2. Soziale Intelligenz

Die Fähigkeit, innere körperliche Signale zu interpretieren, hängt interessanterweise eng mit unserem sozialem Einfühlungsvermögen zusammen. Eine Studie von Adolfi et al. (2017) zeigt, dass interozeptive Sensibilität mit stärkerer sozialer Kognition verbunden ist – wer sich selbst körperlich gut spürt, kann auch andere besser verstehen.

 

3. Bessere Entscheidungsfindung

Laut der Somatic Marker Hypothesis von Antonio Damasio sind Körpersignale entscheidend, wenn wir Optionen abwägen und Entscheidungen treffen – besonders unter Unsicherheit. Diese „Bauchgefühle“ helfen uns, intuitiv zu spüren, was richtig oder falsch für uns ist (Bechara & Damasio, 2005; Damasio, 1999). Durch Achtsamkeit werden wir feinfühliger für diese inneren Hinweise.


Warum Interozeption am Arbeitsplatz zählt

Körperbewusstsein kann das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit am Arbeitsplatz nachhaltig verbessern:

 

  • Stressmanagement: Das frühzeitige Erkennen von Anspannung oder Erschöpfung ermöglicht es uns, rechtzeitig Pausen zu machen, statt sich zum Durchhalten zu zwingen – womöglich bis zum Burnout.

  • Energiehaushalt: Wenn wir unsere aktuellen Energielevel klarer wahrnehmen können, hilft das uns, Arbeits- und Erholungszeiten klug zu strukturieren.

  • Kommunikation: Körperreaktionen in Meetings oder Konflikten bewusst wahrzunehmen, fördert klare und authentische Kommunikation.

  • Burnout-Prävention: Statt Körpersignale zu übergehen – wie es viele leistungsorientierte Menschen tun – können wir Mikromomente der Selbstfürsorge schaffen: Atmen, Dehnen, Bewegen.

  • Bedürfnisse wahrnehmen: Bewusste Körperwahrnehmung unterstützt uns dabei, gesunde Entscheidungen zu Ernährung, Schlaf und Bewegung zu treffen – alles Faktoren, die Konzentration und Präsenz fördern.

 

Unser Körper sendet ständig Signale – wir müssen nur lernen, zuzuhören.


Mini-Übung: Kurzer Body Scan (2–3 Minuten)

 

  1. Schließe die Augen oder senke deinen Blick.

  2. Richte die Aufmerksamkeit auf deine Füße am Boden – spürst du Wärme, Druck, oder Kribbeln?

  3. Wandere langsam weiter nach oben: Beine, Hüften, Bauch, Brust, Schultern, Nacken, Gesicht.

  4. Beobachte jede Empfindung mit Neugierde, ohne etwas verändern zu wollen.

  5. Wenn dein Geist abschweift, bringe ihn sanft zurück zum Körper.

  6. Atme tief ein, öffne die Augen.

 

Diese einfache Übung erdet dich im Körper und stärkt dein „interozeptives Bewusstsein“.

 

Selbstreflektion: Wie gut bist du mit deinem Körper verbunden?

 

(Basierend auf Mehling et al., 2018) – Bewerte jede Aussage von 1 (stimme gar nicht zu) bis 5 (stimme voll zu):

 

  1. Wenn ich angespannt bin, bemerke ich, wo sich die Spannung im Körper befindet.

  2. Ich lenke mich von unangenehmen Gefühlen ab, indem ich mich auf etwas anderes konzentriere.

  3. Wenn ich Unbehagen spüre, sorge ich mich sofort, dass etwas nicht stimmt.

  4. Ich kann meine Aufmerksamkeit vom Denken auf das Spüren meines Körpers lenken.

  5. Ich bemerke, wie sich mein Körper verändert, wenn ich glücklich bin.

  6. Wenn ich in Gedanken gefangen bin, kann ich meinen Geist beruhigen, indem ich auf Körper oder Atmung achte.

  7. Ich höre auf die Signale meines Körpers, um meine emotionale Verfassung zu verstehen.

  8. Ich empfinde meinen Körper als sicheren Ort.

 

Auswertung: Addiere deine Werte von 1,4,5,6,7,8 und ziehe die Werte von 2 und 3 ab.


Ausbaufähiges Körperbewusstsein: −8 bis 10 Punkte

Mittleres Körperbewusstsein: 11 bis 20 Punkte

Gutes Körperbewusstsein: 21 bis 28 Punkte

 

 

Reflektion: Was hast du über dein Körperbewusstsein gelernt? Wo könntest du häufiger innehalten und nachspüren?

 

Abschließender Gedanke

Dein Körper ist nicht nur ein Transportmittel für dein Gehirn – er ist eine Informationsquelle aus der du Weisheit schöpfen kannst. Wenn du mit achtsamer Präsenz auf deinen Körper hörst, stärkst du deine Fähigkeit zur Selbstregulation, zu Empathie und zu bewussten Entscheidungen – in allen Lebensbereichen. Achtsamkeit kultivieren wir nicht nur im Kopf, sondern auch und vielleicht vor allem im Körper.


Bibliografie

Adolfi, F., Couto, B., Richter, F., Decety, J., Lopez, J., Sigman, M., Manes, F., & Ibáñez, A. (2017). Convergence of interoception, emotion, and social cognition: A twofold fMRI meta-analysis and lesion approach. Cortex, 88, 124–142. https://doi.org/10.1016/j.cortex.2016.12.019


Bechara, A., & Damasio, A. R. (2005). The somatic marker hypothesis: A neural theory of economic decision. Games and Economic Behavior, 52(2), 336–372. https://doi.org/10.1016/j.geb.2004.06.010


Damasio, A. (1999). Feeling of What Happens: Body and Emotion in the Making of Consciousness. Houghton Mifflin Harcourt,. https://cir.nii.ac.jp/crid/1370569869258444800


Mehling, W. E., Acree, M., Stewart, A., Silas, J., & Jones, A. (2018). The Multidimensional Assessment of Interoceptive Awareness, Version 2 (MAIA-2). PLOS ONE, 13(12), e0208034. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0208034


Pinna, T., & Edwards, D. J. (2020). A systematic review of associations between interoception, vagal tone, and emotional regulation: Potential applications for mental health, wellbeing, psychological flexibility, and chronic conditions. Frontiers in Psychology, 11, Article 1792. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2020.01792

 
 
 
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